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Selbstverteidigung Kampfsport, Kampfkunst, Erding, Rosenheim , Wing Tsun, Kung Fu, Kampf

17.1.2015  Robert S c h w a b besteht die Prüfung zum ersten Lehrergrad. Hier seine Geschichte:  “Vom Hasenfuß zum Lehrergrad”

Vom Hasenfuß zum Lehrergrad –

Meine Kampfkunstgeschichte

von Robert S c h w a b

Auslöser

Das Szenario: München, Fußgängerzone, im Sommer 2007. Ich spaziere locker vor mich hin, denke und mache nichts Besonderes. Da sehe ich im Augenwinkel, wie sich ein wenig abseits zwei junge Leute, Männlein und Weiblein, beide um die zwanzig, miteinander balgen. Männlein dreht Weiblein gerade den Arm auf den Rücken, und ich glaube noch ein leises Stöhnen von Weiblein zu hören.

Mist.

Was soll ich jetzt nur tun ? Hingehen ? Was rüberrufen ? Ich schaue betreten zu Boden. Es ist doch feige, wegzusehen, ich muß irgendwas machen. Mir schießt das Blut ins Gesicht, mein Herzschlag beschleunigt sich, ich fühle mich wie gelähmt. Ich schau nochmal verstohlen hin, hoffend, daß sich schon ein anderer der unzähligen Passanten bei Männlein bemerkbar gemacht hat.

Aber da hat sich glücklicherweise die Situation schon ins Gegenteil verkehrt, Weiblein quietscht vor Freude und fällt ihrem „Gegner“ um den Hals, offensichtlich ist es ihr Freund.

Ich hatte wohl nur im falschen Moment hingeschaut, als an der Körpersprache nicht klar wurde, daß die beiden nur Spaß machen, und das Stöhnen hatte ich mir wohl auch eingebildet. Puh, Glück gehabt !

Ja, so begann für mich der Weg, der mich schließlich ein knappes Jahr später in die Schule von Sifu Erwin Kastl führte, und auf dem ich nun einen besonderen Meilenstein, den ersten Lehrergrad, erreicht habe.

Anlässlich dieser Auszeichnung schreibe ich heute nieder, wie ich überhaupt zur Kampfkunst kam und was sie mir bis heute gegeben hat.

 

Reflexion

Ganz am Anfang steht – von meiner langjährigen Vorliebe für billige chinesische Kung-Fu-Klamotten und B-Movies mal abgesehen - die oben beschriebene Episode. Sie kann nicht länger gedauert haben als zwei oder drei Sekunden, trotzdem konnte ich nicht aufhören darüber nachzudenken: Warum in aller Welt machte mich der Anblick zweier (vermeintlich) kämpfender Menschen so unruhig, um nicht zu sagen ängstlich ? Physisch hätte eine Konfrontation kein Problem sein sollen, Männlein sah aus, als wöge er etwa halb so viel wie ich.

Dennoch war ich psychisch offenbar nicht in der Lage, mich auf einen adrenalinlastigen Konflikt mit möglicher körperlicher Komponente einzulassen, ich schreckte buchstäblich davor zurück. Dies obwohl ich in meinem Beruf (Finanzbeamter im Außendienst) durchaus manchmal mit emotionalen Menschen zu tun habe, wie man sich vorstellen kann.

Doch körperliche Gewalt als Konfliktlösungsmittel, zur Durchsetzung eigener Interessen ? Das hatte ich bis dato noch nie erlebt, weder als Beteiligter noch als Zeuge. Meine aus der Kindheit herübergeretteten Erfahrungen beschränkten sich hier auf scherzhafte Rangeleien ohne bösen Willen.

Letztlich stellte sich mein Erlebnis zwar als genau dies und damit völlig harmlos heraus, dennoch haben diese drei Sekunden der Entschlussunfähigkeit und Konfliktscheue bei mir einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Es konnte doch wohl nicht sein, daß ich als erwachsener Mann schon beim Anblick einer körperlichen Auseinandersetzung starr vor Angst werde und nicht in angemessener Weise auf die Situation reagieren kann!   

 

Erste Schritte

Ich beschloß deshalb, in meiner damals noch neuen Heimatstadt Erding nach Angeboten zum Thema Kampfsport zu suchen. Da gab es zum Beispiel eine recht renommierte Tae-Kwon-Do-Schule, einen noch renommierteren Kickboxverein und auch eine Kampfsportschule, die sich laut der Website eher der unschematisierten, praxisnahen Selbstverteidigung verschrieben hatte. Da war es doch, was ich suchte!

Ich las die zahlreichen Texte, die der dortige Trainer, ein gewisser Herr Kastl, über sich und seine Kunst ins Internet gestellt hatte. Bei vielen ging es nur um die rein technische Seite der Selbstverteidigung, immer wieder klang aber auch die Wichtigkeit der mentalen Seite an, etwa bei klassischen Opferverhaltensmustern oder der Kampfvermeidung mittels „Schneid abkaufen“. Mir dämmerte schon, daß in diesem Bereich, bei meiner inneren Einstellung zu körperlicher Konfrontation, das Problem gelegen hatte. Also mußte ich da auch den Hebel ansetzen.

So besuchte ich also eines Tages ziemlich nervös mein erstes Probetraining in der Tanzschule in Erding. Nach der Begrüßung durch Erwin (wir sprachen uns sofort mit Du und den Vornamen an, was die Situation für mich sehr entspannte) begann ich unter der Anleitung eines langhaarigen jungen Kerls namens Stephan (der in späteren Jahren zu einem meiner häufigsten Trainingspartner werden sollte) meine Ausbildung. Er erklärte mir geduldig, wie ich bei welchen Angriffen zu reagieren hatte und wie die Hände zu halten waren.

Irgendwann kam dann Erwin dazu und zu den technischen Ausführungen kam nun auch – wie ich mir erhofft hatte – die psychologische Komponente.

Und wie sie kam!

Aus heiterem Himmel blaffte mich Erwin plötzlich und aus nächster Nähe an: „Halt, bleib stehen, ich will nicht mit Dir kämpfen!!!“. Sein Ton war schroff, aber nicht aggressiv, laut, aber nicht hysterisch. Allein durch diese Ansprache – obwohl sie nur zu Demonstrationszwecken stattfand – ging mein Puls in Sekundenschnelle durch die Decke und ich spürte wieder, wie mir das Blut ins Gesicht schoss. Genau wie damals in der Fußgängerzone.

Der Zweck von Erwins Demonstration war klar: Bereits durch festes, energisches Auftreten im Vorfeld einer Konfrontation kann in vielen Fällen vermieden werden, daß der Konflikt überhaupt auf die physische Ebene gelangt. Indem man die klare Botschaft sendet, ein Gegner zu sein, kein Opfer, nimmt man dem Aggressor den Wind oft schon so weit aus den Segeln, daß dieser ablässt und sich eine leichtere „Beute“ sucht.

Für mich war in diesem Moment klar, daß ich hier richtig war. Genau das hatte ich gesucht: Eine Möglichkeit, mich Situationen auszusetzen, die für mich schwer zu ertragen waren (oder jedenfalls Simulationen davon) und so in aller Ruhe auf einen Abstumpfungseffekt hinarbeiten zu können. Ich ging an diesem Tag ganz euphorisiert und rundum zufrieden mit mir nach Hause, in dem Wissen, eine gute Entscheidung getroffen zu haben.

 

Fort-Schritte

In der darauffolgenden Zeit trat die psychologische Seite dann etwas in den Hintergrund, und die technischen Aspekte der Selbstverteidigung wurden trainiert. Das sagte mir zuerst nicht so zu, ich hatte ja eigentlich ein etwas anderes Ziel vor Augen gehabt als „nur“ das Erlernen von Kampftechniken. Doch da hatte ich den Suchtfaktor Kampfkunst unterschätzt! 

Beginnend beim Thema Verteidigung aus dem Zaun war ich plötzlich mit einer dermaßenen Faszination und Eifer bei der Sache, daß mir das „normale“ Training in Erding nicht mehr ausreichte. Ich schaute mich nach weiteren Trainingsmöglichkeiten um – und entdeckte, daß ein Schüler von Erwin namens Jochen Kopetzky, mittlerweile selbst erster Lehrergrad, eine Schule in Dorfen betrieb. Da zu dieser Zeit die Schüler von Erwin auch in dieser Schule gratis mittrainieren durften (und umgekehrt), war es kein Problem, auch dort zweimal in der Woche mitzumachen. Ebenso nahm ich noch den fünfstündigen Intensivkurs, den Erwin jeden zweiten Sonntag gegen Gebühr in Taglaching anbot, fast jedesmal mit, sodaß ich im ersten Jahr auf eine Trainingsfrequenz von vier bis fünf Mal in der Woche kam. Nicht schlecht für jemanden, der eigentlich nur seine Konfliktfähigkeit schulen wollte.

Immer mehr wollte ich lernen, immer mehr Interessantes fand ich in dem riesigen (wenngleich oft etwas unorganisierten) Fundus an Wissen, den Erwin im Laufe der Jahrzehnte zusammengetragen hatte.

Das für mich persönlich bedeutendste Extra, das ich in aus eigenem Antrieb meiner Ausbildung hinzugefügt habe, ist hierbei der Bodenkampf, und zwar in Form des Brazilian Jiu Jitsu (auch Gracie Jiu Jitsu genannt).

Ich empfand dieses Training für mich als ungeheuer lohnend, weil ich mich anfangs – schon sind wir wieder beim Thema Psychologie – dazu überwinden mußte. Der Kampf auf dem Boden mit ständigem Körperkontakt hat etwas sehr Ursprüngliches, um nicht zu sagen Bestialisches an sich. Für einen Zivilisationsmenschen war das zunächst schon gewöhnungsbedürftig. Ich erinnere mich z.B. noch an meine frühe Phase, als mir Erwin eine seiner „alten“ Bodenkampftechniken zeigen wollte: wir hatten noch gar nicht richtig angefangen, da sah er mich schon an und sagte, ich solle mich gefälligst beruhigen, ich sei viel zu aufgeregt. Leichter gesagt als getan, Erwin :)

Erfreulicherweise ließ ich diese ersten Berührungsängste (pun intended) ziemlich schnell hinter mir, ich erkannte die Bereicherung, die mir diese Form des Kampfes körperlich wie mental zu bieten hatte: Einerseits das Kämpfen in ungewohnter Position und Perspektive, andererseits die intensive Erfahrung der Distanzlosigkeit zwischen sich und dem Gegner waren wertvolle neue Eindrücke, die zu meinem Wachstumsprozess beitrugen. Ein Glücksfall war, daß ich in meinem Mitschüler Andi einen ebenfalls in dieser Richtung interessierten Verbündeten fand, mit dem ich seit nun schon über drei Jahren während und außerhalb des WT-Trainings meine Kenntnisse vertiefen kann.

 

Besserung

Ich könnte heute nicht mehr sagen, welcher Faktor der letztlich entscheidende war:
Das – zunächst einmal rein mechanische – Erlernen der Techniken physischer Selbstverteidigung, die Herausforderung, ungewohnte körperliche Nähe zu (anfangs) fremden Menschen zulassen zu müssen, vielleicht auch auf rein psychologischer Ebene die freiwillige Beschäftigung mit angstbelasteten Situationen. Jedenfalls bemerkte ich bei mir bald einen allmählichen Rückgang persönlicher Hemmschwellen, und das nicht nur im Umgang mit Körperlichkeit, sondern auch im sozialen Miteinander.


Bezogen auf das Thema Kampf soll das nun nicht heißen, daß aus mir ein natürlicher Autoritätsbolzen wie Helio Gracie geworden ist; dessen legendäre Antwort auf die Interviewfrage, ob er schon einmal gezwungen war, seine Kunst gegen echte Angreifer einzusetzen („Nein, noch nie. Wer mit mir spricht, kämpft nicht mehr mit mir.“), ist ohnehin nicht zu überbieten.
Dennoch kann ich für mich konstatieren, daß mir das Trainieren aggressiver, eigentlich schon brutaler Techniken überhaupt erst die Möglichkeit eröffnet hat, deren Anwendung durch angemessenes Sozialverhalten zu ersetzen. Nur scheinbar ein Paradoxon !

Nebenbei gesagt: Mit „angemessen“ ist in einem solchen Fall natürlich nicht politisch korrektes Softskill-Gelaber gemeint. Damit würde man – zumal bei einem wenig gebildeten und mit einem von unserer Kultur stark abweichenden Ehrbegriff aufgewachsenen Gesprächspartner – wohl eher Öl ins Feuer gießen. Nein, angemessen wären in diesem Fall die Strategien, die Erwin unter den Oberbegriffen „Deeskalieren“ und „Schneid abkaufen“ zusammenfasst.
Dazu zählt z.B. genau das oben beschriebene Auftreten mit plötzlich laut werdender, fester Stimme, oder auch das Irritieren des Angreifers durch permanentes Reden und Gestikulieren (auch „eine Rede auf Italienisch halten“ genannt). All diese Strategien zielen darauf ab, einen plötzlichen oder allmählichen Kontrollverlust des Angreifers über die Situation herbeizuführen, ihn aus dem Konzept zu bringen, seine Erwartungen zu durchkreuzen usw.

Aber ich schweife ab...

 

Rückblick

…und komme deshalb nun wieder zu dem Punkt, den ich eigentlich deutlich machen wollte: Die Arbeit mit Erwin und meinen Mitschülern war für mich ein in jeder Hinsicht lohnender Weg, den ich ohne Einschränkung empfehlen kann.
Die Verbesserung der körperlichen Leistungsfähigkeit, die mit so einem Training einhergeht, habe ich in dieser Arbeit nicht ausreichend gewürdigt, aber auch die ist natürlich nicht zu verachten. Nur war sie eben nicht der neuralgische Punkt, an dem es bei mir „hakte“. Mein Ziel war es, mich weiterzuentwickeln und letztlich meine Persönlichkeit um eine Facette reicher zu machen, und das habe ich – soweit ich das selbst beurteilen kann – geschafft.
 

Sicher, auch ich habe auf dem Weg dahin zu spüren bekommen, daß neue Erfahrungen selten angenehme Erfahrungen sind, immerhin zwingen sie uns ja aus der eigenen Komfortzone. Doch wie so vieles andere habe ich in den letzten auch das gelernt: Gerade das Verlassen dieser Komfortzone, das Sich-Einlassen auf rein bauchmäßig erst einmal als negativ bewertete Umstände und Situationen, bringt uns weiter und fällt – wie jede freiwillige Angstkonfrontation – unter den Begriff „Selbstverwirklichung“. Und die strebt jeder Mensch an, ob er sich dessen bewußt ist oder nicht.

 

Epilog

Tja, und wie ich nun heute, fast acht Jahre später, auf die „Männlein – Situation“ reagieren würde ? Niemand ist vollkommen, der Ball ist rund und Kampf ist Chaos, doch bin ich mir zumindest in einem sicher: meine innere Bewertung der Situation würde heute komplett anders ausfallen als damals, wo mir außer „schockierend“ und „angsteinflößend“ nicht viele Adjektive eingefallen wären. Dank meiner Ausbildung bei Erwin hätte ich heute die Möglichkeit, solche Dinge aus einer eher analytischen Perspektive zu betrachten, und mich dadurch weniger von meinen Emotionen ablenken zu lassen.

Kurz gesagt: ich würde vielleicht nicht unbedingt die Situation beherrschen, aber ganz sicher würde auch die Situation nicht mehr mich beherrschen. Und das ist doch ein ermutigender Gedanke!

 

Danksagungen

Mein Dank gilt allen motivierten und interessierten Mitgliedern der Kampfkunstschulen Kastl und Kopetzky, mit denen ich in den letzten Jahren lernen durfte, insbesondere

 

    lmeinen langjährigen Trainingspartnern Stephan und Andreas sowie

    lmeinem Co-Trainer für ein Jahr, Jochen Kopetzky.
     

    lBesonderen Dank an Sifu Erwin L. Kastl.
     

 

Erding, im November 2014